Kirchen und Politik diskutierten erstmals gemeinsam bei Sommerakademie
Mit einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion zum Thema "Kirche und Politik in den gesellschaftlichen Gegensätzen" endete die 21. Ökumenische Sommerakademie. Feierlicher Schlusspunkt war der ökumenische Gottesdienst, dem der Bischof der Serbisch-orthodoxen Kirche Andrej Ćilerdžić vorstand.
Den Abschluss der Tagung unter dem Titel "Die gespaltene Gesellschaft" bildete eine Podiumsdiskussion am Freitag, 12. Juli 2019, erstmals mit Vertretern aus der Politik. Es diskutierten DDr. Michael Landau, Präsident der Caritas Österreich, Dr. Reinhold Mitterlehner, ehemaliger Bundesparteiobmann der ÖVP und Vizekanzler a. D., Dr. Josef Weidenholzer, emeritierter Professor für Gesellschafts- und Sozialpolitik an der JKU Linz, zuletzt Vizepräsident der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, und Dr. Michael Chalupka, designierter Bischof der Evangelischen Kirche A. B. in Österreich und ehemaliger Direktor der Diakonie Österreich.
Kirchen, Zivilgesellschaft sowie von Armut betroffene Menschen fühlen sich von politischen Entscheidungen ausgeschlossen; die Zuhörbereitschaft von Seiten der Politik hat abgenommen: Zu diesem Fazit kamen Caritas-Präsident Michael Landau und der designierte Bischof der evangelischen Kirche A. B. in Österreich Michael Chalupka bei der Abschlussdiskussion. Als Negativbeispiele nannten sie zwei brisante politische Entscheidungen der letzten Monate: die Mindestsicherung und die neue Karfreitags-Regelung. Reinhold Mitterlehner, Vizekanzler a. D., forderte die Kirchen im Gegenzug dazu auf, die Auseinandersetzung mit der Politik nicht zu scheuen und klar Position zu beziehen.
Landau: Gegen Neidgesellschaft und für „Horizont der Zuversicht“
Alleinerziehende, Schwerkranke, Pflegende und von Armut betroffene Menschen würden von der Politik immer weniger gehört, kritisierte Landau in seinem Statement in Kremsmünster. Der Caritas-Präsident forderte die Politiker dazu auf, „die richtigen Debatten zu führen“ und keine Neidgesellschaft zu schüren. Dazu gehöre laut Landau, dass man nicht „über 0,9 Prozent der gesamten Sozialleistungen“ diskutiere, denn die Mindestsicherung würde nur den kleinsten Teil des Sozialbudgets ausmachen, aber vor allem Menschen betreffen, „die sich nicht wehren können“. Der Fokus der Politik sollte auf Themen wie Kampf gegen Kinder- und Altersarmut, leistbares Wohnen, Verteilungsgerechtigkeit, Arbeit und einen Masterplan Pflege liegen, forderte Landau. Es gelte, das „gemeinsame Haus Europa“ zu stärken.
Gleichzeitig unterstrich Landau, dass es keine „christliche Politik“ gebe, sondern nur eine „Politik aus christlicher Verantwortung“ heraus. Das Evangelium sei keine Verteidigungslektüre und auch die Caritas gehöre keiner Partei an. Sie sei „nicht schwarz, türkis, rot, blau, grün oder pink, sondern Kirche“. Die Aufgabe der Caritas und der Kirchen sei unter jeder Bundesregierung gleich und orientiere sich ganz am Leben und an den Sorgen der Menschen. Was die Kirchen einbringen könnten und müssten: die Schärfung des positiven Möglichkeitssinns, das Werben für Zusammenhalt und Zuversicht, die Erinnerung an die Freiheit und Verantwortung jedes Menschen, den Aufruf zu Dialog und Respekt und zu Solidarität. „Es geht um einen Horizont der Zuversicht, den die Kirchen spannen, für den sie werben, und um einen Blick über den Tellerrand hinaus. Die Kirchen sind gern Partnerinnen der Politik, der Bundesregierung, eines starken Europas, weil wir nur eine gemeinsame Zukunft haben“, so Landau wörtlich.
Bezüglich des Tagungsthemas „Die gespaltene Gesellschaft“ meinte Landau, dass selbst gesellschaftliche Widersprüche einen positiven Effekt haben könnten. In Österreich habe man die Mittel, den Mut und die Fähigkeiten, die Gegenwart und die Zukunft positiv zu gestalten. „Nichts lähmt solidarisches Handeln so sehr wie Angst. Wer Ängste schürt – und da ist wahrscheinlich keine politische Partei davor gefeit –, schadet den Menschen und unserem Land“, betonte Landau abschließend.
Chalupka: Expertise der Kirchen als Teil der Zivilgesellschaft wird immer weniger gehört
Die politische Entscheidung zum Karfreitag, der seit Februar dieses Jahres ein „persönlicher Feiertag“ ist, habe gezeigt, wie schnell Kirchen ihre Rechte verlieren könnten, so der designierte designierte Bischof der evangelischen Kirche A. B. in Österreich, Michael Chaupka. Für Chalupka gehe es dabei weniger um die „Kaste der Kirchen-Funktionäre“, sondern um gläubige Menschen, die durch die Karfreitagsentscheidung in ihren Glaubensvollzügen nicht ernst genommen wurden.
Der designierte Bischof der evangelischen Kirche A. B. in Österreich forderte von den Kirchen aber mehr Selbstkritik. So hätten diese beim Thema Umweltschutz vergessen, „Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung miteinander zu verbinden“. Die aktuelle „Fridays for Future“-Bewegung zeige nun vor, wie man das Thema Klimagerechtigkeit, mit dem sich die Kirchen seit Jahrzehnten beschäftigten, wirkungsvoll positioniere, stellte Chalupka fest.
Kritisch merkte der ehemalige Direktor der Diakonie an, dass Kirchen als Teil der Zivilgesellschaft kaum noch Möglichkeiten hätten, sich aktiv in politische Entscheidungen einzubringen. Caritas wie auch Diakonie hätten durch ihre Arbeit als Hilfsorganisationen zwar die Expertise, würden aber in den letzten zwei Jahren immer weniger gehört und im schlimmsten Fall sogar diffamiert. In dieser Situation sei es wichtig zu unterstreichen, dass Politik mehr sei als einzelne Politiker. „Politik ist das, was wir alle auf allen Ebenen zur Gestaltung der Gesellschaft beitragen. In die Politik sind Kirchen und Zivilgesellschaften ganz eng eingebunden, besonders auf regionaler und lokaler Ebene“, zeigte sich Chalupka überzeugt, denn das politische Handeln müsse man als BürgerIn nicht der Bundesregierung überlassen.
Es sei Aufgabe der Kirchen, „parteilich und anwaltschaftlich an der Seite derer zu stehen, die unter die Räder zu kommen drohen“. Darüber hinaus seien Kirchen „Oasen des Vertrauens“, wie sie Pastoraltheologe Paul Zulehner am Eröffnungstag der Ökumenischen Sommerakademie in seinem Vortrag skizziert habe: „Orte, an denen Gemeinschaft gelebt werden kann, an denen Abendmahl bzw. Eucharistie gefeiert wird und wo Menschen zusammenkommen, die einander sonst kaum begegnen: Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, mit unterschiedlichem Bildungshintergrund und unterschiedlichem nationalen Hintergrund“, so der designierte evangelische Bischof. Diese Menschen würden eine Gemeinschaft bilden, die sich nicht dadurch definiere, dass sie andere ausgrenze, sondern die ihre Identität darin finde, einladend zu sein.
Mitterlehner: Warnung vor autoritärer Demokratie
Österreich bewege sich von einer liberalen hin zu einer autoritären Demokratie, warnte Ex-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. Die aktuelle „Symbolpolitik des Landes, die nicht zuhört, sondern sich auf Themen wie Migration oder Flucht versteift“, verdeutliche diesen Zustand. Der politische Dialog gehe zurück und die „integrative Ausrichtung“ des politischen Diskurses nehme ab. Als Lösung nannte Mitterlehner eine „partizipative Demokratie“, die die Pluralität und Integration anderer Meinungen fördere.
Einen wichtigen Beitrag zur Demokratie könnten die Kirchen leisten. Diese sollten weder Konflikte noch klare Stellungnahmen gegenüber der Regierung scheuen, forderte Mitterlehner. Überall dort, wo Grundwerte, Ethik und gesellschaftliche Konflikte von Seiten einer Regierung angesprochen oder gar verursacht werden, müssten die Kirchen handeln. Dies sei vor allem in einer Zeit des Rechtsdrucks, der immer mit Ausgrenzung zu tun habe, vonnöten, so der Autor des 2019 erschienenen Buches „Haltung: Flagge zeigen in Leben und Politik“. Mitterlehner wörtlich: „Bei allen brennenden Themen wie Migration, Umwelt oder Vereinsamung von Menschen sind Ansatzpunkte, die gespaltene Gesellschaft zusammenzuführen – und dazu können, ja müssen Kirchen und Politik einen wichtigen Beitrag leisten.“
Weidenholzer: „Klare Stimme“ der Kirchen vorhanden
Eine andere Wahrnehmung der Situation hat indes der Sozialwissenschaftler Josef Weidenholzer. So gebe es auf Österreichebene durchaus "eine sehr klare Stimme" der Kirchen, die aber immer weniger gehört werde, „weil sie die Inszenierung stört“. Vernünftige Stimmen seien da eher kontraproduktiv, so das ehemalige Mitglied des Europäischen Parlaments.
Weidenholzer ortet gleichzeitig eine noch nie dagewesene Zerrissenheit der Gesellschaft, eine zunehmende „Ungleichheit, die zelebriert wird“ und eine wachsende Verrohung in Sprache und Umgang. Seine Diagnose: „Wir leben in historischen Zeiten – in einer Zeit des Umbruchs wie in den 1930er Jahren. Wir sind an einem Wendepunkt, einer Kreuzung: Alles ist möglich – das Positive und das Negative. Wie damals zu Zeiten der Rationalisierungskrise gibt es neue Herausforderungen, haben Menschen Ängste – und Angst ist der ‚Rohstoff‘ für manche Politiker. Es stellt sich auch die Frage der Zugehörigkeit: Wo gehöre ich dazu, darf ich dazugehören? Wir leben in einer Zeit des Werteverfalls, der Relativierung der Menschenrechte, des Einzugs des Nihilismus und der Krise der Institutionen.“
Der Sozialwissenschaftler zeigte sich trotz der pessimistischen Diagnose zuversichtlich, dass aus der Krise heraus etwas Positives entwickelt werden könne. Weidenholzers Vision: „In Österreich gab es vor zwei Jahrzehnten die gemeinsame Anstrengung eines „Österreichkonvents“. Ich wünsche mir, dass wir wieder den Mut haben zu einem solchen Österreichkonvent, wo wir gemeinsam über die Institutionen und über vertrauensbildende Maßnahmen diskutieren.“
Podiumsdiskussion und alle Vorträge zum Nachhören unter
http://www.dioezese-linz.at/oekumenische-sommerakademie-kremsmuenster
Bericht: Kommunikationsbüro der Diözese Linz, Barbara Eckerstorfer
Fotos: Diözese Linz / Kraml