200 Jahre „Stille Nacht“

Es ist wohl der bekannteste Text, den ein ehemaliger Kremsmünsterer Schüler geschrieben hat: Im Jahr 1816 dichtete der Hilfspfarrer Joseph Mohr (1792-1848), der das Lyzeum (entspricht unseren letzten beiden Gymnasialjahren) von 1808 bis 1810 in Kremsmünster besucht hatte, in Mariapfarr (Lungau) das berühmteste Weihnachtslied der Welt. Zwei Jahre später komponierte auf Mohrs Wunsch der Lehrer Franz Gruber die Melodie dazu. Gruber (Gesang) und Mohr (Gitarre) brachten „Stille Nacht“ zu Weihnachten 1818 in der St. Nikola-Kirche in Oberndorf an der Salzach erstmals den Besuchern der Christmette zu Gehör.

Der Orgelbaumeister Karl Mauracher aus Fügen hörte die Melodie und brachte das Lied in seine Heimat. 1822 wurde es im Kaiserzimmer von Schloss Fügen Kaiser Franz I. und Zar Alexander I. vorgetragen. Kurz darauf wurde es in Leipzig gesungen und fand beim Publikum sehr großes Gefallen. Damit begann der Siegeszug um die Welt. Heute gibt es Übersetzungen in mehr als 300 Sprachen. „Stille Nacht“ steht seit 2011 auf der Liste des Immateriellen Kulturerbes Österreichs.

1905 wurde das Lied erstmals auf Schallplatte eingespielt. Es zählt heute zu den meistverkauften weltweit. Allein die Aufnahme von Bing Crosby („Silent Night“) aus dem Jahr 1935 erreichte bisher weit über 10 Millionen Exemplare.

Übrigens entstammt auch ein weiteres bekanntes österreichisches Weihnachtslied der Feder eines ehemaligen Kremsmünsterer Gymnasiasten: Der gebürtige Krenglbacher Anton Reidinger (MJ 1859), Weltpriester der Diözese Linz, verfasste 1883 den Text zu „Es wird scho glei dumpa“. Die Melodie basiert auf einem alten Marienlied, dem Reidinger eine zweite Stimme hinzufügte. 2012 stellte der Krenglbacher Heimatforscher Alfred Herrmüller fest, dass entgegen bisheriger Annahme nicht nur der Text, sondern auch die Melodie von Anton Reidinger verfasst wurde. Lange Zeit hatte man geglaubt, dass es sich bei dem Lied um ein Volkslied aus dem Tiroler Brixental handelt.

Am 1. Mai 2016 fand der Grazer Germanist Univ.-Doz. Dr. Christian Neuhuber (Altkremsmünsterer des MJ 1988) in unserem Stiftsarchiv das Autograph des Liedes. Die Handschrift wurde Anfang Juni dieses Jahres bei der Brucknertagung präsentiert. Dorthin hatte der wissenschaftliche Leiter des Anton-Bruckner-Instituts Linz, Klaus Petermayr, auch Konsulent Alfred Herrmüller eingeladen. Christian Neuhuber gab Alfred Herrmüller die Signaturen und am 20. Juni hielt dieser erstmals das Autograph in der Hand, nach dem er seit Jahren ohne Erfolg gesucht hatte.

Wolfgang Leberbauer