Angst? Staunen? Bewunderung?

Vom Kontakt mit fremden Kulturen

Im Lateinunterricht der 6. Klasse haben wir uns mit einem Thema beschäftigt, das von brennender Aktualität ist und, wie Texte aus verschiedensten Kulturepochen zeigen, zu allen Zeiten diskutiert wurde: Wie verläuft die Begegnung mit fremden Kulturen?

Wir haben Texte von Caesar gelesen und interpretiert: Wie treten die Römer den Galliern gegenüber? Welche Angst hat man vor den Britanniern gehabt? Was hat man an den fremden Völkern insgeheim bewundert?

Etwa 150 Jahre nach Caesar nahmen wir in den Texten des römischen Historikers Tacitus eine gehörige Portion Respekt vor den Germanen und ihrer Lebensweise wahr; er spart dabei nicht mit Kritik an seinen eigenen römischen Landsleuten.

Mit einem Zeitsprung ins 16. bzw. 17. Jahrhundert begegneten wir literarisch den Türken, die damals scheinbar unaufhaltsam auf dem Weg Richtung Westeuropa waren: Nach der Eroberung Konstantinopels hatte sich ihr Staat, das Osmanische Reich, sukzessive den gesamten Balkan einverleibt. 1526 schlugen sie bei Mohács die Ungarn und besetzten deren Land. 1529 standen sie erstmals vor Wien, 1683 das zweite Mal. Ungarn war bis zum Ende des 17. Jh. unter osmanischer Herrschaft, ehe die habsburgischen Truppen – deren Erfolge unter Prinz Eugen werden in Österreich bis heute bewundert – die Türken siegreich zurückdrängten.

In der Mitte des 16. Jh. unternahm Ogier Ghislain de Busbecq, in Belgien geborener Diplomat im Dienst Kaiser Karls V., eine Reise aus Wien in das Osmanische Reich, um einen Waffenstillstand auszuhandeln. Wir lasen in Auszügen seine in lateinischer Sprache geschriebenen Briefe, in denen er sich um große Objektivität bemüht. Die Texte enthalten interessante Informationen über die türkische Kultur:

Nach dem Übertritt über die Grenze zum damals türkisch besetzten Ungarn überkommt Busbecq ein mulmiges Gefühl, als ihn plötzlich 150 Reiter umzingeln: Doch er wird höflich zum Befehlshaber der nächsten Stadt geleitet und von diesem freundlich empfangen. Auch die außerhalb des Osmanischen Reichs so gefürchteten Janitscharen, die Elitesoldaten des Sultans, die u. a. für den Schutz der Christen und Juden verantwortlich sind, zeichnen sich durch ausnehmende Freundlichkeit und Kultiviertheit aus.

Skeptisch ist Busbecq gegenüber den ungewohnten Speisen der Türken – und muss dann zugeben, dass ihm das Angebotene eigentlich recht gut schmeckt.

Voller Staunen stellt er fest, dass es im Osmanischen Reich eine Gartenkultur auf höchstem Niveau gibt, und bewundert neben anderen bunten Blumensorten die ihm bislang unbekannten Tulpen.

Seine Audienz beim unnahbaren Sultan Süleyman dem Prächtigen verläuft allerdings ohne das gewünschte Resultat.

Außerdem geben uns die Briefe des Diplomaten einen Überblick über die Situation der Frauen in der ausgeprägt patriarchalischen osmanischen Gesellschaft: In der Öffentlichkeit gehen alle völlig verhüllt –  lediglich ein Sehschlitz bleibt offen. Zu den rechtmäßigen Gattinnen dürfen die Männer Nebenfrauen haben, so viele sie wollen. Wenn ihnen eine Nebenfrau nicht mehr gefällt, können sie sie verkaufen. Bei Scheidungen bekommt die Ehefrau die Mitgift zurück, die sie in die Ehe eingebracht hat.

Etwa zur Zeit der Verfassung der Briefe wurde von Abt Gregor Lechner (der übrigens die mittelalterliche Klosterschule von Kremsmünster zu einem öffentlichen Gymnasium erklärt hat) die Rüstkammer des Stifts begründet. Dort gibt es u. a. eine Reihe von Ausstellungsobjekten aus den Türkenkriegen zu sehen: u. a. einen Kaftan und einen Turban, prächtig verzierte Waffen der Türken (Bögen, Köcher mit Pfeilen, Gewehre, Pulverhorn, Geldbeutel, alles mit schönen Pflanzenmotiven als Dekoration). Dazu passt auch, dass wir im Stiftsbereich einen Renaissance-Gartenpavillon im türkischen Stil haben (die sog. „Moschee“) – bei der hohen Gartenkultur der Türken kein Wunder, dass die Architektur Einflüsse aus dem osmanischen Bereich aufweist.

Schön, dass unsere Schülerinnen und Schüler diese kulturellen Verbindungslinien direkt vor Ort im Stift sehen können. Latein wird so als gemeinsame europäische Kultursprache erlebt, die permanent Ausblicke auf andere Bereiche ermöglicht: in diesem Fall auf Geschichte, Völkerkunde, Botanik, Architektur …

Barbara Alscher, Wolfgang Leberbauer

Rüstkammer des Stifts: Despina besichtigt das Outfit eines Türken (Kaftan und Turban) und eines kaiserlicher Kürassiers

Simon, Julian, Lukas und Michael mit dem Offiziersharnisch des Stiftsrüstmeisters (um 1560)

Der orientalisierende Hofgartenpavillon (die sog. „Moschee“) wurde 1640-1642 unter Abt Bonifaz Negele von Jakob Halius (Allio) erbaut. Foto: Monika Diesenreiter

Auf der Innenseite der achteckigen Kuppel der „Moschee“ entdeckt man neben dem reizvollen Stuck auch osmanische Porträtköpfe. Foto: Josef Ameshofer