Wahlkampfrhetorik im Lateinunterricht

„Inszeniere deine Wahlwerbung so, dass sie großes Aufsehen verursacht! Ziel muss sein, dass die Leute davon beeindruckt sind! Scheue dafür keine Kosten! Und wenn es irgendwie möglich ist, bring deine Mitbewerber in Misskredit – besorge dir Informationen über ihre Schwächen, schau, dass übles Gerede über sie verbreitet wird, egal ob finanzielle Unregelmäßigkeiten, gesetzwidriges Verhalten oder private Probleme!“ 

Sind das Tipps eines Wahlkampfmanagers im gerade zu Ende gegangenen österreichischen Nationalratswahlkampf? Oder Auszüge aus einem Handbuch von Tal Silberstein? Die Worte klingen verdächtig danach – doch welche Überraschung: Sie stammen vom römischen Schriftsteller, Anwalt und Politiker Cicero (106-43 v. Chr.), der uns in diesem Text und auch bei anderen Gelegenheiten schildert, wie in der römischen Republik Wahlkämpfe organisiert wurden, d. h. vor mehr als 2000 Jahren!

In der 7. Klasse beschäftigen wir uns in Latein zurzeit mit der Thematik „Rhetorik, Propaganda, Manipulation“. Wir studieren, wie Reden aufgebaut sind, welche rhetorischen Stilmittel eingesetzt werden, welche psychologischen Tricks Redner verwenden, um ihr Publikum zu beeindrucken und die Zuhörerinnen und Zuhörer von ihren Gedanken und Zielen zu überzeugen. Dazu sahen wir uns auch rhetorische Auftritte der Spitzenkandidaten im österreichischen Wahlkampf an und analysierten sie.

„Um der Manipulation nicht hilflos ausgeliefert zu sein, ist es notwendig die rhetorischen Techniken und Tricks zu kennen. Wer der Rhetorik verächtlich den Rücken kehrt, wird leicht ihr erstes Opfer“, betont Klemens Keplinger auf Seite 23 seines Schulbuches „Ars rhetorica – Roms rhetorisches Erbe“, einer Auswahl von lateinischen Texten aus der Theorie und Praxis der Rhetorik von der Antike bis in unsere Zeit.

Die Redekunst ist, wie so vieles in der europäischen und amerikanischen Kultur und Zivilisation, von den antiken Griechen begründet und von den Römern weiterentwickelt worden. John F. Kennedy studierte seinen Cicero ebenso wie Barack Obama seine rhetorischen Fähigkeiten an diesem großen römischen Redner schulte. Auch wir werden in nächster Zeit Ausschnitte aus Ciceros Reden lesen und in der Folge einige Reden bedeutender internationaler Politiker genauer betrachten.

Natürlich werden die Schülerinnen und Schüler nebenbei auch Tipps mitbekommen, was sie beachten sollen, wenn sie selbst einen rhetorischen Auftritt haben.

Häufig wird von der Schule politische Bildung gefordert – der Lateinunterricht leistet bei vielen Gelegenheiten Beiträge dazu!

Wolfgang Leberbauer